Modellbauträume: Über den Wipfeln, röhrend – der Hirsch, 2015
Verbundglasfenster (photochemisch sensibilisiert und entwickelt), Mehrfachbelichtung in Dunkelkammer, 83,5 cm x 63,5 cm
Der Hirsch als archaisches Symbol ist seit der Frühzeit nicht nur Jagd- sondern auch Kultobjekt, Sonnenwesen, Lichtgestalt und Seelenbegleiter des Menschen. Als „König des Waldes“ ist er mit seiner majestätischen Haltung ein stolzer Ausdruck von Freiheit. Sein inbrünstiger Ruf, der über die Wipfel hallt, lässt ihn jedoch auch als leidvolles, getriebenes Wesen erscheinen. Seine mythologische Kraft mag unterschwellig vielleicht auch in den zunehmend trivialisierten Darstellungen fortwirken, doch die einst so vitale Verbindung zwischen Mensch und Hirsch scheint in medial vermittelten Stereotypen erstarrt. Seine vielfältigen Attribute sind uns kaum noch geläufig; so findet er – ursprünglichen Bedeutungen entleert – noch als Sinnbild einer heilen, idyllischen Welt und in Kunststoff gegossen seinen Rückzugsort in den Miniaturen einer idealisierten Modellbauwelt; ein aus einzelnen Tannenimitationen gesteckter Wald vermag ihm dort als kulturelles Reservat eine letzte, spießbürgerliche Heimstatt zu bieten. Die Modellbaufigur „Hirsch röhrend“ (Art.-Nr. 47701) und das Modellbau-Set „30 Tannen“ (Art.-Nr. 181440) wurden als mediale Stereotypisierungen zur Grundlage des photographischen Diptychons. Die lichtempfindliche Schicht innerhalb der Verbundglasfenster unterliegt dabei unkalkulierbaren Verwandlungen, die Motive lösen sich mitunter wieder auf, verflüchtigten oder verflüssigen sich stellenweise und bilden neue Figurationen aus. Die Zwischenraumphotographie macht eine mechanische Belüftung notwendig, die im metaphorischen Sinne einer künstlichen Beatmung des röhrenden Hirschen gleichkommt und seine gegenwärtige Situation im Bild akustisch wie folgt zum Ausdruck bringt: „Der röhrende Hirsch pfeift auf dem letzten Loch!“
Am 18.10.2015 in der Ausstellung „Röhrender Hirsch“
Produzentengalerie Rammlmair
Hindenburgstraße 7a
30175 Hannover