DOUBLE GLAZED / Shop Window Ensemble als Experimentalsystem
In den fotografischen Arbeiten der Serie DOUBLE GLAZED wird nicht nur das Bild zu einem Fenster einer befremdlichen Welt, sondern Fenster werden gleichwohl zu fotografischen Bildkörpern. Der durch zwei Glasscheiben begrenzte Zwischenraum ausrangierter Verbundglasfenster, fotochemisch sensibilisiert und in der Dunkelkammer mittels alter Glasnegative mit Schaufenstermotiven aus der 1950er/60er Jahren belichtet, wird so zum Grund gleich mehrfacher, sich überlagernder Bildphänomene. Aus den Wechselwirkungen der an diesem dynamischen Experimentalsystem beteiligten Materialien, Dinge und Substanzen resultieren Effekte, die verschiedene Bild-Phänomene hervorrufen: die Doppelglasfenster werden zu Injektions-, Reflexions- und Projektionsobjekten.
Fenster, die einst den Ausblick ermöglichten, werden zu einem Reservoir der Erinnerung und des Vergessens gleichermaßen; sie fungieren weniger als sichere Speicher denn als vitale Biotope, die bereits mit der Belichtung ein Eigenleben zu führen begonnen haben. Dabei geben die Glasscheiben Einblick in einen Zwischenraum fotografischer Spuren, den sie materiell selbst erzeugen und begrenzen. Sie geben Ein- und Durchblick an den Stellen, die nur eine geringe Belichtung erfahren haben; sie versperren den Blick an Partien der lichtempfindlichen Schicht, die größere Schwärzungen aufweisen oder werfen ihn zurück und bringen damit den Umraum und das betrachtende Gegenüber als Spiegelung auf die Bildoberfläche und in das Bildgefüge hinein. Dabei ist der lichtempfindliche Film als zweite Haut, die sich innwendig über das Glas zieht, immer gefährdet abzugleiten; während sich in einem Anfangsstadium Kondenswasser niederschlägt, wird das Bild zu einem performativen Bildereignis über die Zeit: Kristallisationskeime bilden Zentren der Wucherung, die sich unter dem Glas ausbreiten, Farbumschläge und figurative Zersetzungen entstehen dort, wo das analoge Entwicklungsverfahren der Schwarzweißfotografie materiell be-dingt nicht vollständig oder korrekt ablaufen konnte. Die Effekte des Materials entziehen sich derart meiner unmittelbaren Kontrolle und bringen unvorhersehbare, überraschende Erscheinungen hervor. Das vermeintlich Fixierte der fotografischen Momentaufnahme unterliegt dadurch unkalkulierbaren Verwandlungen und lässt das Vergangene ungewiss werden. Diesem andauernden Umwandlungsprozess des nicht wieder einzuholenden Augenblicks entspricht der immerwährende Anspruch einer Re-Konstruktion und Re-Formulierung des Vergangenen in einer auf die Zukunft ausgerichteten Gegenwart.
Als Gegenüber eröffnen die fotografischen Bildkörper einen dialogischen Zwischenraum; sie stellen mich in ihrer materiellen Dinglichkeit stets vor neue Herausforderungen, weil sie als Materialding und Dingmaterial wider Erwarten reagieren. Im Ereignis des Werdens und Verwandelns, des Zufalls und des Zerfalls begegne ich mir derart gleichermaßen selbst und werde mit meinen Wünschen, Haltungen und Wertvorstellungen konfrontiert. Das Verständnis des – in den Doppelglasfenstern angelegten – Zwischenraums als Reaktor und Behältnis wird auf diese Weise erweitert zu einem relationalen Gefüge, einem Beziehungsraum.